[gewesen] Vortrag von Hartmut Rosa in der Ev. Stadtakademie Bochum

Das diesjährige Programm der Evangelischen Stadtakademie Bochum startete spektakulär: Hartmut Rosa kam, um über die Theorie der „Resonanz als Maßstab für Lebensführung und Gesellschaft“ zu sprechen, die in den letzten Jahren – auch außerhalb enger soziologischer Kreise – einige Beachtung erfahren hat. Obwohl die Veranstaltung extra kurzfristig in einen größeren Raum der Stadtbücherei umgezogen ist, war kaum noch Platz und einige Besucher mussten stehen. Soziologie als Straßenfeger…

In seiner Theorie analysiert Rosa die Entwicklung der Moderne als Entwicklung der Beschleunigung und sucht auf individueller und gesellschaftlicher Ebene nach Ursachen, Folgen und – in der Soziologie nicht selbstverständlich – nach Ansätzen einer Therapie (vgl. Abb.).

Auf gesellschaftlicher Ebene geht er dabei zunächst davon aus, dass das gegenwärtige Wirtschaftssystem Wachstum voraussetzt. Ohne dieses Wachstum komme es zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, zu sinkenden Einkommen und einem Rückgang des Wohlstandes. In Anlehnung an Max Weber sagt er: „Das Stahlharte an unserer Gesellschaft ist die Wachstumslogik.“ Diese lässt sich jedoch auch auf individueller Ebene finden. Treiber ist hier das Bedürfnis des Menschen nach einer sogenannten „Weltreichweitenerweiterung“. Menschen streben nach einer Vergrößerung ihrer individuellen Handlungsspielräume. Zentrale Faktoren sind hier a) die Angst, abgehängt zu werden, seinen Platz in der Welt zu verlieren und „auf das Abstellgleis geschoben zu werden“ und b) das Begehren, die Welt „in Reichweite zu bringen“, d.h. sich neue Dinge verfügbar zu machen: Sie wollen in der Firma aufsteigen, um interessantere Aufgaben zu bekommen und um mehr Geld zu verdienen. Mit dem höheren Einkommen können Sie in eine bessere Wohngegend und in ein Haus ziehen, das vorher nicht erschwinglich war. Sie können an Orte reisen, die vorher nicht erreichbar waren. In Anlehnung an Kants kategorischen Imperativ könne man einen neuen Imperativ der Moderne formulieren und sagen: „Handle jederzeit so, dass sich deine Weltreichweite vergrößert.“ Rosa geht an dieser Stelle so weit, die gesamte Technikentwicklung, vom Faustkeil bis zur Atombombe, als eine Geschichte der Vergrößerung der eigenen Reichweite zu deuten.

Dieser Analyse der Grundmechanismen der Wachstumsgesellschaft schließt er auf gesellschaftlicher Ebene die Diagnose der Desynchronisation einzelner Teilbereiche von Gesellschaft an. Nicht alle Lebensphären lassen sich gleichermaßen dynamisieren. Unter dem Druck der Beschleunigung werden manche abgehängt. Teile der Wirtschaft (z.B. die Finanzmärkte) bewegen sich schneller als andere (z.B. die sogenannte Realwirtschaft), die ihrerseits wiederum das politische System abhängen. Auf individueller Ebene kommt es in der Folge zu Symptomen der Entfremdung. Rosa definiert diesen in der Soziologie häufig verwendeten Begriff als einen „Modus der Beziehung zur Welt, der sich aus der Abwesenheit der inneren Verbundenheit mit ihr charakterisiert“. Die eigene Umwelt erscheine stumm, grau und abwesend. Als Extremform der Entfremdung sind dabei psychische Krankheiten wie Burn-out zu werten, die durch eine Ziel- und Sinnlosigkeit am Arbeitsplatz entstehen können. Als individuelle Reaktion auf diesen Problemdruck ist zu beobachten, dass sich die Menschen – weil ihnen selbst nicht klar ist, wie Alternativen zur Entfremdung, wie „das gute Leben“ aussehen kann – auf den Erwerb von strategischen Ressourcen der Selbstoptimierung konzentrieren: Sie versuchen, „genug“ Geld anzuhäufen, so gesund und fit wie möglich zu werden, sich mit den „richtigen“ Freunden zu umgeben etc., um für alle weitere Herausforderungen gerüstet zu sein.

Im letzten Schritt – im Bereich der Therapie – fragt Rosa nun, wie „das gute Leben“ aussehen kann. Hierbei gilt es, auf gesellschaftlicher Ebene, eine neue Wirtschaftsform zu finden, die nicht mehr auf ständiges Wachstum ausgerichtet ist. Solche Wirtschaftsformen zeichnen sich durch die Fähigkeit einer „adaptiven Stabilisierung“ aus, d.h. sie können bei Knappheit (z.B. an Lebensmitteln, Wohnungen etc.) an bestimmten Stellen wachsen, müssen es aber nicht permanent. In den letzten Jahren forschte Rosa an dieser Stelle an alternativen Wirtschaftsmodellen z.B. am von der DFG finanzierten Kolleg „Landnahme, Beschleunigung, Aktivierung. Dynamik und (De-)Stabilisierung moderner Wachstumsgesellschaften“. (eine Zusammenfassung des Programms findet sich in diesem Blogpost). Diesem – sicherlich noch ungelöstem Problemfeld – setzt Rosa auf individueller Ebene nun den Begriff der Resonanz entgegen. Damit beschreibt er einen Modus gelingender Weltbeziehung, der durch die Fähigkeit charakterisiert wird, sich von der Umwelt emotional berühren zu lassen, dem Eindruck der Selbstwirksamkeit, d.h. der Möglichkeit, auf seine Umgebung Einfluss nehmen zu können sowie der „Unverfügbarkeit der Welt“, d.h. der Tatsache, dass sich die Welt der Verfügbarmachung bewusst entzieht.

Im Anschluss an die Debatte war noch etwas Zeit für die Diskussion mit dem Publikum, bei der ich Rosa (leider nur kurz) nach seiner Einschätzung fragen konnte, inwiefern die Genossenschaft ein Modell für eine Wirtschaft der adaptiven Stabilisierung sein könnte. Rosa hielt dies für möglich, es käme dabei auf die Form der Genossenschaft und den Gründungszweck an. Insbesondere gemeinsam nutzbare Güter  oder Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge könnten jedoch auf diese Weise außerhalb der Wachstumslogik organisiert werden.

Rosas Theorie der Resonanz ist hiermit zwar noch nicht kritisch gewürdigt, aber immerhin hoffentlich weitestgehend richtig wiedergegeben worden, Ergänzungen und Korrekturen immer gern! Als weiterführende Information empfehle ich einen Vortrag Rosas bei der Heinrich-Böll-Stiftung und eine Folge des Philosophischen Radios auf WDR5 aus dem Jahr 2016.

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